Unser heutiges Bildungssystem zwingt Schüler und Studenten, Erklärungen aus Themen herauszupressen, und betrachtet es als Schande, wenn sie kein Urteil abgeben, wenn sie sagen: „Das weiß ich nicht.“
Es erfordert erhebliche Anstrengung, Fakten zu sehen oder sich an sie zu erinnern, ohne ein Urteil zu fällen und sich in Erklärungen zu flüchten. Und diese Theoretisierungskrankheit haben wir nur selten unter Kontrolle. Sie ist größtenteils anatomisch, Bestandteil unserer Biologie. Sie zeigt, dass wir beim Erklären besser sind als beim Verstehen.
Weshalb endete der Kalte Krieg?
Weshalb verloren die Perser die Schlacht von Salamis?
Weshalb bekam Hannibal einen Tritt in den Hintern?
Weshalb kam Casanova immer wieder auf die Beine?
Bei all diesen Beispielen nehmen wir eine Bedingung an und suchen dann nach Erklärungen dafür – statt die Argumentation einfach umzukehren und festzustellen, dass wir in Abhängigkeit von diesem Überleben nicht so viel in den Prozess hineininterpretieren können und lernen müssen, ein gewisses Ausmaß an Zufälligkeit anzuführen. Und genau hier liegt das Problem: Zufälligkeit anzuführen bedeutet, Unwissenheit geltend zu machen.
Im wirklichen Leben, als auch bei der Kapitalanlage kennt man die Chancen nicht. Man muss sie ermitteln, und die Quellen der Unsicherheit sind nicht definiert. Wirtschaftswissenschaftler machen eine künstlichen Unterschied zwischen knightschen Risiken (die die sich berechnen lassen) und knightscher Unsicherheit (die man nicht berechnen kann) – nach Frank Knight.
Wenn Herr Knight wirtschaftliche oder finanzielle Risiken eingegangen wäre, hätte er erkannt, dass es diese „berechenbaren“ Risiken im wirklichen Leben nicht gibt. Sie sind reine Laborprodukte.
Wir machen uns wegen Dingen Sorgen, die passiert sind und nicht wegen Dingen, die passieren könnten.
Quelle: Nassim Taleb, „Schwarze Schwäne“