Derzeit geben zwei Entwicklungen Anlass zur Vorsicht: Einerseits zieht die Inflation kräftig an, andererseits bewegen sich die Wertpapierkredite auf einem extrem hohen Niveau. Und diese Gemengelage erinnert fatal an 2008.

Die Financial Industry Regulatory Authority (FINRA) beaufsichtigt als US-Genehmigungsbehörde die in der Wertpapierbranche aktiven Personen und vor allem die Mitgliedsunternehmen, die für ihre Kunden sogenannte Margin-Konten, also de facto Wertpapierkredite, führen. Der im April 2021 festgestellte Bestand belief sich auf 847 Milliarden US-Dollar – im Vergleich zum Vorjahr stellt dies einen Zuwachs von 322 Milliarden US-Dollar dar. An sich wäre diese Information nicht besorgniserregend, allerdings zeichnet sich eine zunehmende Bereitschaft der Wirtschaft ab, die eigenen Preise im aktuellen Marktumfeld deutlich zu erhöhen. Und damit könnte die Wertpapierkredit-Blase zum Zünglein an der Waage werden.

Euroraum: Preiserwartungen steigen ebenso wie Kosten

Der Economic Sentiment, also der Wirtschaftsindikator der Europäischen Kommission, zeigt an, dass sowohl die Industrie als auch die Dienstleister extrem hohe Verkaufspreiserwartungen hegen. Gleichzeitig schrauben die DAX-Unternehmen ihre Schätzungen für das Netto-Ergebnis innerhalb der nächsten 12 Monate ebenfalls deutlich nach oben, angesichts höherer Einkaufspreise klafft jedoch eine Differenz zwischen Absatzpreisen und Gewinn. Allein für den April 2021 meldete das Statistischen Bundesamt eine Importpreissteigerung von 10,3% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – im März belief sich die Erhöhung bereits auf 6,9%, im Februar nur auf 1,4%.

Die letzte derart große Preisanhebung liegt mehr als zehn Jahre zurück. Was also ist der Grund? Ein wesentlicher Faktor dürften die Energiepreise sein: Vor einem Jahr brachen diese im Zuge der Corona-Pandemie drastisch ein, um nun im Vergleich zum April 2020 eine Verteuerung um 101,3% zu realisieren. Der Haupttreiber ist der Ölpreis, der es sogar auf einen Anstieg von 198% brachte. Doch auch ohne die Energiepreise wäre in diesem April eine Importpreissteigerung von 4,8% verzeichnet worden. Es ist also davon auszugehen, dass alle Branchen von höheren Preisen für die notwendigen Einkäufe betroffen sind. Daraus folgt: Auch die Verkaufspreise werden steigen – und damit die Inflationsrate. Ob diese, wie von den Notenbanken propagiert, vorübergehender Natur sein wird, dürfte auch von der weiteren Geldpolitik abhängen.

Inflation und KGV – negative Korrelation beachten

Diese gegenläufige Entwicklung wird immer wieder beobachtet: Sobald die Inflationsraten anziehen, wirkt sich das negativ auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) aus. Grundsätzlich kann das KGV sinken, wenn Gewinne steigen und/oder die Kurse sinken. Derzeit muss festgehalten werden: Die Gewinne und Gewinnerwartungen sind bereits ausgereizt, da dürfte kaum noch Platz nach oben sein. Im Gegenteil, die kräftig gestiegenen Aktienkurse bergen ein enormes Korrekturpotenzial! Und genau deswegen könnte ein fataler Domino-Effekt bei korrekturbedingt sinkendem KGV einsetzen:

Die Entwicklungen an den Aktienmärkten haben viele Marktteilnehmer dazu animiert, exzessiv auf Kredit zu investieren. Ein Blick zurück – 2008: Die Margin-Konten umfassten im 3. Quartal des Jahres rund 402 Milliarden US-Dollar – bevor die Finanzkrise ausbrach. Übrig blieben rund 134 Milliarden US-Dollar. Zum Ende des letzten Jahres wurde bei den Margin-Konten bereits ein Volumen von 482 Milliarden US-Dollar registriert, im April 2021 dann 847 Milliarden US-Dollar. Und dieses Spekulieren auf Pump wirkt sich direkt auf die Aktienkurse aus: So, wie das Volumen der Wertpapierkredite steigt, klettern auch die Kurse – und damit wächst eine bedrohliche Blase.

Risiko: Korrektur am Aktienmarkt – was wird mit den Wertpapierkrediten?

Beginnen die Aktienkurse also zu sinken, weil sich beispielsweise das KGV verschlechtert oder andere Impulse die Aussichten eintrüben, geraten die Spekulanten unter Druck: Sie müssen ihre Aktien zwangsläufig verkaufen, um die für die Investition aufgenommenen Kredite überhaupt zurückführen zu können. Angesichts des enormen Volumens der Wertpapierkredite ist in der Folge mit einer massiven Beschleunigung der Abwärtsbewegung am Aktienmarkt zu rechnen. 

Einen anschaulichen Eindruck von den potenziellen Folgen dieser Entwicklung vermitteln die Erfahrungen aus dem Jahr 2008: Das Volumen der Margin-Konten schrumpfte von ursprünglich 402 Milliarden US-Dollar auf gerade einmal 134 Milliarden US-Dollar – und die Voraussetzungen für eine Wiederholung sind derzeit durchaus gegeben. Es fehlt nur der erste Stein, der diese fatale Lawine auslöst. Wann dies geschehen wird, kann kein Experte voraussagen – vorbereiten sollten sich jedoch alle Marktteilnehmer.