Finanzielle Bildung: In deutschen Schulen bislang Fehlanzeige
38 Jahre. So lange dauert in der Bundesrepublik Deutschland aktuell ein durchschnittliches Arbeitsleben. 38 Jahre im Büro, an der Maschine, hinter dem Lenkrad eines Lkw. 38 Jahre in einem Krankenhaus, im Streifenwagen, an der Supermarktkasse. 38 Jahre, das sind fast 8.500 Arbeitstage. Oder noch genauer: 66.800 Stunden. Zeit, in denen Geld zum Leben verdient wird. Geld für einen gewissen Wohlstand während der Phase aktiver Berufstätigkeit und Geld auch für einen möglichst angenehmen Ruhestand. Was sind da ein paar Stunden, in denen jungen Menschen in der Schule beigebracht wird, wie eben dieses Geld geschickt verwaltet, gewinnbringend angelegt und sinnvoll investiert wird. Doch in unserem staatlichen Bildungssystem stehen derartige Themen nicht auf dem Lehrplan. Stattdessen werden viele Schüler mit Stoff gefüttert, der ihnen im Alltag kaum von Nutzen sein wird. Dabei gehört finanzielle Bildung unbestreitbar zu den wichtigsten, nützlichsten und nachhaltigsten Lerninhalten überhaupt.
Den Blick fürs Wesentliche schärfen
Ob Realschule oder Gymnasium – in deutschen Schulen wird viel zu wenig Zeit auf finanzielle Themen verwendet. Während literarische Werke bizarrer Autoren bis ins Detail ausgelegt und mathematische Formeln auf Universitätsniveau behandelt werden, erfährt kaum ein Schüler etwas darüber, wie der effektive Jahreszins berechnet wird oder wie der Handel mit Aktien geregelt ist. Das Fatale dieses Zustandes: Selbst ein hoher Bildungsabschluss und entsprechend großzügige Einkünfte in späteren Jahren nutzen nicht viel, wenn der Umgang mit dem verdienten Geld missglückt. Daher braucht es engagierter Vorstöße, finanzielle Themen deutlich stärker in die Lehrpläne von allgemeinbildenden Schulen aufzunehmen. Es gilt, den Blick der jungen Menschen für das Wesentliche zu schärfen und grundlegenden Fragen der Vermögens- und Alterssicherung nicht auszuweichen.
Kaum Wissensvermittlung in finanziellen Dingen
Folgt man der Meinung kritischer Zeitgenossen, wird die Bildungspolitik in unseren Tagen bewusst wirtschaftsfern betrieben. Die Gesellschaftsform des „bösen Kapitalismus“ – so scheint es den Schülern indirekt vermittelt zu werden – ist überkommen und muss verändert werden. Daher sind Dinge wie Geldanlagen, Investitionen und eine Absicherung gegen finanzielle Risiken eher verpönt als erstrebenswert. In der Folge kommt es dann dazu, dass kaum ein Durchschnittsbürger mehr eine Ahnung davon hat, wie Vermögensaufbau wirklich funktioniert. Animierten einst wenigstens noch Banken und Sparkassen zu einer gewissen Beschäftigung mit dem Thema (z. B. durch Werbe-Kampagnen zur Einrichtung eines Sparbuchs oder Tagesgeldkontos), ist solche Reklame aufgrund der EZB-Zinspolitik heute fast völlig ausgestorben. Junge Menschen leben stattdessen in einem Vakuum, wenn es um Geldrücklagen und finanzielle Vorsorge geht. Oft werden die ersten selbst verdienten Euros daher schnell ausgegeben – und nicht gespart. Ein Vorgehen, welches rasch zur Gewohnheit wird. Da „am Ende des Geldes noch jede Menge Monat übrig ist“, scheint die Schaffung von Rücklagen unmöglich. Doch in vielen Fällen stimmt diese Wahrnehmung gar nicht. Vielmehr ist sie die Folge eines von Grund auf falschen Umgangs mit Einkünften.
Sparen lernen, Vermögenswerte schaffen
Das Plädoyer für eine umfassende finanzielle Bildung kann gar nicht laut genug vorgetragen werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung im Euro-Raum und den sich verstärkenden Signalen für eine neue Finanzkrise sollten die Deutschen frühzeitig lernen, ihr hart verdientes Geld zu sichern und sich echte Vermögenswerte zu schaffen. Dazu gehört freilich auch, seriöse von unseriösen Angeboten unterscheiden zu können und nicht auf überzogene Renditeversprechen zwielichtiger Investmentvermittler hereinzufallen. Wird hier angesetzt und schon Kindern und Jugendlichen in vernünftiger Weise beigebracht, wie mit Geldbeträgen umzugehen ist, kann eine Menge zum Positiven verändert werden. Dann haben wir eine echte Chance, nachfolgende Generationen zu einem umsichtigen und klugen Handeln anzuleiten. Und ihnen zu helfen, ihr eigenes Alter würdig und ohne finanzielle Sorgen erleben zu können.
Nicht nur Lehrer sind gefragt
Die Schuld für die gegenwärtige Situation allein den Lehrern und den politisch Verantwortlichen zuzuschieben, greift zu kurz. Vielmehr müssen auch die Eltern ihren Beitrag zu einer ausreichenden Bildung ihres Nachwuchses in finanziellen Dingen beitragen. Solange die Schulen keine entsprechenden Angebote zur Verfügung stellen, kann es beispielsweise eine gute Idee sein, Sohn oder Tochter zu einem passenden Kurs in der Volkshochschule anzumelden. Auch die Anschaffung guter Bücher zum Thema oder der Besuch eines Seminars (privater) Finanzexperten wäre ein gangbarer Weg, um die Misere im deutschen Bildungssystem temporär abzufedern. Nicht zuletzt sollten sich Eltern aber auch dafür stark machen, dass entsprechende Inhalte in die Lehrpläne aufgenommen und Lehrkräfte umfassend in finanziellen Fragen geschult werden. Da in der Bundesrepublik Deutschland die Lehrpläne von den Kultusministerien der Länder für die einzelnen Schulformen erlassen werden, könnte eine Petition mit dem Ziel der Stärkung finanzieller Bildung unter Umständen sinnvoll sein. Manchmal kann schon mit wenig Aufwand viel erreicht werden. Und bereits wenige Stunden finanzieller Bildung sind dazu geeignet, einen wichtigen Beitrag zu leisten, um die Früchte vieler tausend Stunden im späteren Arbeitsleben zu schützen und zu mehren.