Exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt
Exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt… Wir kennen diese Zusammenhänge zur Genüge aus der Physik und der Psychologie: Belastungen sind nicht grenzenlos steigerbar. Früher oder später kommt der Punkt, an dem ein System dem ausgeübten Druck nicht mehr gewachsen ist. Wenn dieser Punkt erreicht ist, bricht das System unweigerlich zusammen. Vor jeder Straßenbrücke stehen auf beiden Seiten Schilder, die auf ihre maximale Belastbarkeit hinweisen. Wer zu viele Bücher auf sein Regalbrett des Bücherregals stellt, wird dieses zunächst durchhängen und am Ende brechen sehen.
Schuldenrekord in 2017
In vielen Bereichen unserer Alltagswelt wissen wir nur zu gut um die Belastungsgrenzen und stellen uns rechtzeitig auf sie ein. Nur wenn es um unser Geldsystem und den darin angehäuften Schulden geht, scheint ein jeder zu glauben, dass allein der Himmel die Grenze ist und man den bestehenden Schuldenberg immer noch etwas erhöhen kann. Man muss kein promovierter Mathematiker sein, um zu erkennen, dass wir den Bogen längst überspannt haben. Wir haben uns ein Kartenhaus von gigantischem Ausmaß erschaffen. Sowohl die private als auch die staatliche Verschuldung überall auf der Welt ist außer Kontrolle geraten. Wir agieren heute mit Zahlen, die für frühere Generationen unvorstellbar waren. Während die Schulden auch heute noch munter erhöht werden, verliert die Realwirtschaft beständig an Schwung und droht in einer Dauerkrise zu verharren. Nach aktuellen Zahlen des Institute of International Finance (IIF) betrug der weltweite Schuldenberg Ende 2017 237 Billionen US-Dollar. Damit ist der globale Schuldenstand dreimal höher als die Wirtschaftsleistung auf unserem Planeten. Besonders besorgniserregend ist jedoch die Geschwindigkeit, mit der sich der Schuldenstand weiter erhöht. In den letzten 10 Jahren sind die Schulden um 42 Prozent gewachsen. Das entspricht ca. 70 Billionen US-Dollar. Allein im letzten Jahr wurde ein Anstieg von 21 Billionen US-Dollar verzeichnet. Da unser Geldsystem auf Schulden aufgebaut ist, verwundert diese Entwicklung keineswegs. Das Wachstum der globalen Geldmenge (Schuldenmenge) folgt einem exponentiellen Verlauf. Jedoch tun wir Menschen uns sehr schwer, die dieser Art von Wachstum zugrundeliegenden Exponentialfunktion zu verstehen. Bereits der amerikanische Physiker Albert Bartlett stellte fest, dass der größte Fehler der menschlichen Rasse die Unfähigkeit ist, die Exponentialfunktion zu erfassen. Um das exponentielle Wachstum besser zu verstehen möchte ich eine uralte Anekdote erzählen: die Weizenkornlegende.
Die Weizenkornlegende
Einst lebte in Indien ein König namens Sher Khan. Während der Herrschaft des Königs erfand Sissa das Schachspiel. Der König war von diesem Spiel sehr angetan. So bat er Sissa an seinen Königshof. Als Sissa vor ihn trat, sagte der König, er wolle ihn für diese Erfindung reichlich belohnen Er sei reich und mächtig genug, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Sissa schwieg und dachte nach. Er bekam Bedenkzeit bis zum nächsten Tag. Als Sissa danach vor den König trat, bat er um ein einziges Weizenkorn auf dem ersten Feld des Schachbrettes. Der König lachte und fragte ihn, ob das wirklich alles sei. Er könne sich doch mehr wünschen? Da antwortete Sissa, er hätte gerne auf dem zweiten Felde zwei Weizenkörner, auf dem dritten vier, auf dem vierten acht, auf dem fünften Feld sechzehn Weizenkörner.
Die Berater des Königs begannen schallend zu lachen, weil sie diesen Wunsch für äußerst dumm hielten. Schließlich hätte der Mann sich Gold, Edelsteine, Land oder alles mögliche andere wünschen können.
Der König war verärgert, weil er dachte, Sissa halte ihn für zu arm oder zu geizig. Sissa wünschte sich vom König, er solle ihm für alle Felder Weizenkörner geben – auf jedem Feld doppelt so viele Körner wie auf dem Feld davor. Doch der Wunsch war in den Augen des Königs dumm, weil er ihm viel mehr hätte geben können. Der König schickte Sissa vor das Palasttor und ließ ihn warten. Dorthin würde man ihm seinen Reis bringen.
Der Weise ging lächelnd hinaus. Am Tor setzte er sich und wartete geduldig auf seine Belohnung.
Abends erinnerte sich der König Sher Khan an den seltsamen Wunsch und fragte, ob Sissa seine Belohnung schon erhalten habe. Seine Berater wurden nervös und erklärten, dass sie die Belohnung nicht hätten zusammenbringen können – es sei einfach viel zu viel, und die Getreidespeicher würden nicht genug Weizen enthalten, um ihn auszuzahlen.
Da wurde der König wütend und schimpfte, sie sollten dem Mann endlich seine Belohnung geben. Schließlich habe er es versprochen und das Wort des Königs gelte.
Da erklärten seine Berater und der Hofmathematiker, dass es im gesamten Königreiche nicht genug Weizen gäbe, um den Wunsch des Mannes zu erfüllen. Ja, dass es auf der gesamten Welt nicht so viel Weizen gäbe. König Sher Khan schwieg verblüfft. Dann fragte er, wieviele Weizenkörner es denn seien. 18.446.744.073.709.551.615 Reiskörner war die Antwort. Da lachte der König schallend. Er ließ Sissa zu sich rufen und machte ihn zu seinem neuen Berater.
Sissa war sich einer bedeutenden Eigenschaft der Exponentialfunktion bewusst. Die rasante Zunahme des Wachstums. Diese Dynamik wird von den meisten Menschen unterschätzt. Im Endergebnis bleibt festzuhalten, dass Systeme, deren ureigenste Natur das exponentielle Wachstum ist, letztendlich immer zusammenbrechen müssen. Denn in einer endlichen Welt ist ungebremste Expansion auf Dauer nicht möglich.
Bargeldverbot und Helikoptergeld
Bezogen auf unser Geldsystem, welches den Gesetzmäßigkeiten der Exponentialfunktion folgt, ist festzustellen, dass die Zentralbanker diesem charakteristischen Wesenszug seit Jahren versuchen, Einhalt zu gebieten. Das dafür eingesetzte Werkzeug heißt Inflation. Dabei wird immer weiter Geld in das System gepumpt, ohne dass eine wirtschaftliche Gegenleistung erfolgt. Sollte jedoch dieses Gelddrucken keinerlei Wirkung zeigen, dann werden weitere Trümpfe aus dem Ärmel gezaubert. Diese könnten möglicherweise ein Verbot des Bargelds und der Einsatz von Helikoptergeld sein. Ob sie stechen werden, ist allerdings eine andere Frage.
Auslöser und massiver Verstärker dieses allgemeinen Chaos könnten eine Reihe von Bankenzusammenbrüchen gefolgt von Staatspleiten sein. Da die Banken alle irgendwie miteinander verbandelt sind und sich gegenseitig ihre Risiken „absichern“, wird der Zusammenbruch eines einzelnen größeren Instituts sehr schnell hohe Wellen schlagen. Auch die vermeintlichen Sicherungssysteme und Ihre Kapitalausstattungen sind alles andere als Beruhigungspillen.Wenn der Punkt erst erreicht ist, dass die Sparer ihre Institute retten sollen, und eine Bank der anderen nicht mehr über den Weg traut, ist für Panik unter den Gläubigern rund um den Globus gesorgt. Ein Rückblick auf die Finanzkrise zeigt, dass dieser Punkt nicht nur sehr schnell erreicht werden kann, sondern auch kaum zu kontrollieren ist.
Die Wut der vielen Menschen, die ihre Ersparnisse verlieren, wird politische Auswirkungen haben. Am Ende könnte viel auf der Strecke bleiben. Der Euro und die Europäische Union haben große Chancen dazuzugehören. Regierungen, die mit dem Rücken zur Wand stehen und nichts mehr zu verlieren haben, könnten geneigt sein, sich leichtfertig in außenpolitische Abenteuer zu stürzen. Neu wären diese Fluchtversuche nicht, gefährlich aber allemal. Die Geschichte ist voll von derartigen Abenteuern.